Ein mißlungener Don Quichotte

von Martin Krauss

Der Verlagsprospekt verrät: Stefanie Golisch ist Jahrgang 1961 und arbeitet als Germanistin an der Universität Bergamo (Italien). Ihre 100-Seiten-Erzählung "Vermeers Blau" ist eine Don-Quichotte-Geschichte: sie erzählt vom Scheitern, von unerfüllten, unerfüllbaren Ansprüchen, vom Anrennen gegen Windmühlenflügel und vom unzeitgemäßen Verharren gegen alle Vergeblichkeit.

Die Ich-Erzählerin Marianne sieht sich in ihren Ansprüchen an das Leben, an die Kunst und vor allem an sich selbst gescheitert. Weder kreativ noch rezeptiv gelingt es ihr, ihren Weg zu finden, illusionslos begreift sie die Unmöglichkeit, kämpft aber innerlich stetig dagegen an.

In ihrem Scheitern steht sie nicht allein. Sinnbildlich für das ihres Mannes Walter steht dessen mißlungene Radierung von Don Quichotte, die als ewiges Menetekel an der Wohnzimmerwand hängt. Doch Walter hat sich, im Gegensatz zu Marianne (die sich ohne Befriedigung mit Kunstunterricht in den Schulklassen 5-10 plagt und ihren Mann samt Kindern bekocht) erfolgreich umorientiert. Er arbeitet aussichtsreich als Techniker und hat seine künstlerischen Ambitionen weitgehend vergessen.

Marianne spiegelt ihre Probleme an Walter sowie an einer Vielzahl von Bekannten und Verwandten: an ihrer in Oberflächlichkeiten schwelgenden Schwester, an Jürgen, der als einziger wirklich ein Künstler ist, sich jedoch verweigert, an Freunden und Freundinnen, die sämtlich ihren eigenen Weg der Resignation beschritten haben oder keine Ambitionen kennen.

Eine Schwäche der Erzählung "Vermeers Blau" liegt gleichsam im Thema selbst begründet. Denn der Leser bleibt vom Quälenden der psychologischen Selbstbespiegelung der Protagonistin und ihrem krampfartigen Herumwühlen im Leben ihrer Mitmenschen sowie in deren Beziehungen untereinander, in zahlreichen verpaßten Chancen und Unzulänglichkeiten nicht verschont. Ausführliche Analysen über Walters Fettleibigkeit, das Verhältnis zwischen Manon und Margot und Verena und Marie und dem (saufenden) Jürgen... sind kein reines Vergnügen, aber sie müssen wohl quälend sein.

Weitere Schwächen sind weniger plausibel. So die Unzahl der angerissenen, kaum in ihrer Bedeutung ausgeloteten Bilder (Vermeer) und die teils wild konstruierten Verallgemeinerungen. Wenn Jürgen, der beruflich Rohrdichtungen herstellt, in der Vorstellung seiner Frau "die ganze Welt abdichten" will , aber "...Eines jeden Schiff bricht an einer anderen Stelle, abgedichtet oder nicht [...] früher oder später, da helfen keine Dichtungen, da hilft gar nichts mehr...", so wirkt solche Trivialphilosophie doch reichlich an den Haaren herbeigezogen.

Die Stärke der Erzählung "Vermeers Blau" liegt darin, daß Stefanie Golisch wirklich etwas zu sagen hat. Das sich trotz Lebenserfahrung und Lebensklugheit Nicht-Abfinden-Können, das Quichottische, ewige Suchen nach dem Eigentlichen (symbolisiert durch das unerreichbare, spezielle Blau Vermeers) gerät der Autorin psychologisch durchaus überzeugend. Besonders Mariannes Niederlagen im Beruf, in dem sie wider bessere Einsicht zehn bis fünfzehn Jahre alte Kinder hoffnungslos überfordert, indem sie ihnen Aufgaben stellt, die sie eigentlich selbst lösen müßte und es nicht vermag, erreichen beachtliche Tiefgründigkeit. Sprachlich entwickelt die Autorin einen prägnanten, konsequenten Stil, der die Erzählung glaubwürdig macht. Die Geschichte Mariannes endet in einer fast märchenhaften Wunschprojektion, für die Stefanie Golisch ein sehr ausdrucksstarkes Bild findet, und gleichzeitig in dessen Brechung an der Banalität und Vergeblichkeit.

Das Buch verdient sich damit, nach manchem Kopfschütteln während der Lektüre, insgesamt doch ein anerkennendes Nicken.

Stefanie Golisch: "Vermeers Blau" (Erzählung). edition sisyphos, Köln 1997, ISBN 3-928637-19-3, 100 Seiten, 20,- DM.