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.............Pogromgedenken in Lauterbach

 

Der Kulturverein beteiligt sich, wie schon seit vielen Jahren, an den Gedenkveranstaltungen zur Reichspogromnacht, in deren Verlauf am 9. und 10. November 1938 zahlreiche Synagogen geschändet und zerstört, viele jüdische Häuser geplündert und Juden erheblich drangsaliert wurden.
Weitere Kooperationspartner der Veranstaltung sind die Stadt Lauterbach, die evangelische Kirchengemeinde, die katholische Kirchengemeinde sowie die Naturfreunde Vogelsberg.

Weil in Lauterbach die Synagoge, die genau vor 100 Jahren (1908) eingeweiht wurde und genau vor 70 Jahren (1938) zerstört wurde, das eigentliche Niederbrennen der Synagoge erst am 10. November geschah, findet auch die Lauterbacher Gedenkveranstaltung am 10. November 2008 ab 18 Uhr statt.

Um 18 Uhr trifft man sich am "Platz der Synagoge" (Am oberen Ende der Verbindungsstrasse zwischen der Bahnhofstrasse und "Hinter der Burg"/"Goldhelg"). Hier wird Bürgermeister Rainer-hans Vollmöller eine Ansprache halten, Vladimir Pletner wird auf der Geige musikalisch umrahmen.

Danach organisieren angehörige des Kinder- und Jugenparlamentes (KJP) Vogelsberg und Lauterbach einen Weg in Form einer Lichterkette über mehrere Stationen vom "Platz der Synagoge" bis zum Lichtspielhaus Lauterbach (Ecke Vogelsbergstraße/Steinweg). Auf mehreren Stationen dieses Weges, bei denen die Verlegeorte der Lauterbacher Stolpersteine Bahnhofstr. 18/20, Alter Steinweg 7 und Steinweg 11 Berücksichtigung finden, werden Plakate aufgestellt. Auf den Plakaten werden Übergriffe von Rechtsradikalen geschildert. Dabei sollen die einzelnen Schilderungen eine Zeittafel symbolisieren, also Vorfälle von der Reichspogromnacht bis heute mit dem Ziel, darauf aufmerksam zu machen, dass menschenverachtendes Verhalten einzelner Gruppierungen nach wie vor ein wichtiges Thema ist, welches es zu verhindern gilt. An den Stolpersteinen sollen zudem Blumen und Steine zum Gedenken niedergelegt werden. Der Weg zwischen den einzelnen Tafeln wird durch ein rotes Band markiert, an den Standorten stehen Kerzen, die von den Teilnehmern der Gedenkfeier an einer brennenden Kerze angezündet und dann auf dem Weg zur nächsten Tafel entlang des roten Fadens niedergestellt werden.

Um 19 Uhr, wenn der vom KJP veranstaltete Zug am Lichtspielhaus angekommen sein wird, zeigt der Kulturverein im Kino einen speziellen Film bei freiem Eintritt:

Michael Verhoeven: Das schreckliche Mädchen (D 1990)

Regie und Drehbuch: Michael Verhoeven
Produktion: Sentana Filmproduktion, Produzent: Michael Verhoeven
Musik: Lydie Auvry, Mike Herting, Elmar Schloter, Billy Gorlt
Kamera: Axel de Roche
FSK: ab 12 Jahre
Länge: 92 Minuten
Prädikat: Besonders wertvoll
Filmfestspiele Berlin 1990: "Silberner Bär" für die beste Regie.

Basierend auf den realen Forschungsarbeiten der Studentin Anja Rosmus im Passau der frühen 80er Jahre und deren Umstände schildert Michael Verhoeven in seiner Satire "Das schreckliche Mädchen" die Geschichte der Schülerin Sonja, die nach einem gewonnenen Aufsatzwettbewerb in einer fiktiven bayerischen Stadt die Nazi-Vergangenheit ihres Heimatortes aufarbeiten möchte und dabei von einem gnadenlosen Schulterschluss von Stammtisch-Mob und Stadtverwaltung torpediert wird.

Verhoeven inszeniert seinen Film unter Rekurs auf zahlreiche, verfremdende Stilmittel, wie man sie auch aus dem Brecht'schen Theater kennt, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, es handele sich hierbei um einen Erzählfilm oder aber, im Umkehrschluss, um eine Dokumentation. Dazu gehört beispielsweise Sonjas direkte Ansprache des Publikums ebenso wie der verfremdende Effekt, wenn etwa das Archiv der Stadtverwaltung ganz offensichtlich als rückprojizierte Leinwand visualisiert wird, vor der auf einer Bühne um einen Bürotisch die agierenden Personen zu sehen sind. Bemerkenswert ist zudem die Konsequenz mit der Verhoeven seinen Film im Jahr 1990, wo solcherlei kritische Töne zur Lage der Nation gewiss nicht sonderlich gefragt waren, zuspitzt und bis zum Ende keine Versöhnung mit dem um Stillschweigen bemühten Filz aus Mob, gehobenem Bürgertum und Verwaltung in Aussicht stellt.

Hier findet die Akribie, mit der auch die historische Anja Rosmus in den 80er Jahren vorging, die ihr Studium auf diesen Forschungsarbeiten aufbaute und beispielsweise sich auch nicht scheute, die verweigerte Übergabe relevanter Akten der Stadt Passau einzuklagen, eine passende Entsprechung. Eine gelungene Satire also, die den Finger auf die Stellen legt, die - nach wie vor - weh tun. Etwas Bedauern schleicht sich in die Begeisterung dennoch ein: Ein solcher Film, ein solches Engagement - filmisch, wie sozial - wird in den heutigen Tagen, wo sich Deutsche selbst zunehmend (wieder) als Opfer historischer Umstände wähnen, schwer vermisst. Der Jury der Berlinale 1990 war der Film ein Silberner Bär wert.

(Dieser Text ist zuerst erschienen bei:  Jump Cut)

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