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Assoziationsreiche Töne voll Poesie und Gelassenheit
Manfred Dahmers Gesprächskonzert im Hohhaus vermittelte tiefe Einblicke

Zithern gibt es in vielen Teilen der Welt. Meist assoziieren wir sie mit Volksmusik, wie die hierzulande bekannteste alpenländische Zither, aber auch in der Folklore Madagaskars und sogar Kentuckys ist das Instrument bekannt. Desgleichen im Fernen Osten, in Vietnam und China. Die chinesische „Qin“ jedoch, das lernten die sehr zahlreichen Zuhörer beim Hohhaus-Konzert im Rokokosaal, ist alles andere als ein volkstümliches Instrument, sondern eher so etwas wie ein Heiligtum für Eingeweihte.
Der aus der Nähe von Freiensteinau stammende Musikwissenschaftler, Musiker und Sinologe Manfred Dahmer war der durchaus mutigen Einladung des Kreises Lauterbacher Musikfreunde gefolgt und bot ein Gesprächskonzert über die Qin und ihre Bedeutung, das in über zwei Stunden spannend, lehrreich und unterhaltsam blieb. Bemerkenswert allein schon die rhetorische Leistung, immer frei, druckreif und fesselnd zu sprechen.
Gewürzt mit Anekdoten und Exkursen erfuhr das Publikum viel über das eigenartige Instrument und seine exponierte Bedeutung in der chinesischen Kultur. Dahmer schuf dabei zahlreiche Bezüge zur europäischen Kunst und Philosophie, zitierte von Goethe bis Brecht und streifte die Gebiete der Geschichte, der Musikwissenschaft, der Literatur, der Mathematik bis hin zur Politik und der Liebe.
Die Qin ist ein Stück Holz vom Wutongbaum, mehrfach lackiert und mit zwei relativ kleinen Resonanzhöhlen auf der Unterseite. Ein Griffbrett mit eingelegten Griffmarken also, über das sieben Saiten in pentatonischer Stimmung gespannt sind, die ursprünglich aus Seide waren. Ihr Klangbild folgte dem Ideal des Naturfaft-Reinen.
Ihren besonderen Status in der chinesischen Kultur erhielt sie vor allem dadurch, dass bereits sehr früh Stücke für die Qin notiert wurden, und zwar äußerst exakt – allerdings ohne die in unserer Notenschrift selbstverständliche Angabe von Tonlängen. Dahmer erläuterte, dass dies eine deutliche Entsprechung zur chinesischen Schriftsprache habe.
Überhaupt stand das Instrument stets in enger Verbindung zur Sprache und Literatur. Es war das Instrument der Dichter, vielleicht vergleichbar mit der Leier im antiken Griechenland. Qin-Musik und chinesische Lyrik thematisieren assoziationsreiche Naturbetrachtungen und ihre seelischen Entsprechungen.
So war das entscheidende Merkmal der Musik, die Dahmer souverän zu Gehör brachte, nicht der individuell gestaltete Rhythmus und eigentlich auch nicht die Melodie, sondern eher die Prosodie einer bilderreichen Sprache. Das Zupfen der leeren oder gedrückten Saite, das Flageolett oder das Glissando symbolisierten dabei die Erde, den Himmel und den Menschen.
Die meditativ wirkenden, atmende Ruhe ausstrahlenden Stücke mit Titeln wie „Wutong-Blätter tanzen im Herbstwind“ wurden den Zuhörern im Laufe des Abends immer beredter, obgleich Dahmer wohl etwas übertrieb, wenn er immer wieder vor der Unzugänglichkeit der Stücke warnte. Zumindest denen, die Hörerfahrung in Neuer Musik haben, klang die Qin nicht allzu unvertraut. Musikalische Figuren, die, wie sprachliche in der Lyrik, symbolhaft und ästhetisch autonom zugleich sind, übten eine außerordentliche Wirkung aus.
Die gekonnte Vermittlung dieser Kunst und Denkart durch Manfred Dahmer, der sich dabei als quasi Universalgelehrte erwies, welcher China und seine Kultur keineswegs verherrlichte, fand Unterstützung dadurch, dass der Leiter des Hohhaus-Museums Wolfgang Wiehl in der Pause die Räume der bedeutsamen China-Sammlung öffnen lies.
So wurde das Gesprächskonzert ein Kunstereignis, das über das Nahebringen einer fremden Kultur auch den Blick auf die eigene schärfte und nicht nur den musikalischen Horizont erweiterte. Das Publikum dankte mit lang anhaltendem Applaus.
Martin Krauss


Dichten auf dem Griffbrett: Manfred Dahmer spielte die Qin im Hohhaus.