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Mit drei Jahren schon ein "Alter Hase" sein
Die Evangelische Kindertagesstätte Lauterbach hat eine "Nestgruppe" eingeführt

LAUTERBACH (mk.) Seit rund 160 Jahren gibt es die Evangelische Integrative Kindertagesstätte in Lauterbach, der Kreisstadt des Vogelsbergkreises. Damit dürfte sie eine der ältesten in der EKHN sein. Alt, aber nicht altmodisch, das bemerkt der Besucher sofort, wenn er das moderne Gebäude am Stadtrand betritt. Die auf den ersten Blick etwas verschachtelt wirkende Architektur schafft großzügige, helle und lichtdurchflutete Räume, die mit allem ausgestattet sind, was Kinder- und Erzieherinnenherzen begehren. Und das ist nicht wenig, immerhin werden hier mehr als 100 Kinder von über 20 Fachkräften betreut.
Die neueste Errungenschaft dieser Kindertagesstätte hat jedoch nur indirekt etwas mit Räumen und Materialien zu tun. Seit dem Sommer 2009 gibt es hier eine "Nestgruppe", das ist eine Krippe für bis zu 13 Kinder im Alter zwischen einem und drei Jahren, die von 7.30 Uhr bis 16.30 Uhr geöffnet ist. Eine Errungenschaft, die vor allem für die ländliche Region noch etwas Besonders darstellt, für die aber auch zunächst einige Überzeugungsarbeit auf verschiedenen Ebenen geleistet werden musste.



Was in vielen anderen Ländern, zum Beispiel in Frankreich, seit Jahrzehnten selbstverständlich ist, nämlich dass Eltern schon ein Jahr nach der Geburt eine Kindes wieder erwerbstätig sind und ihr Kind in eine Krippe geben, stößt in Deutschland noch manchmal auf Ablehnung. Das böse Wort von den "Rabeneltern" ist ein extremer Ausdruck einer skeptischen Haltung gegenüber professioneller Kinderbetreuung im Kleinkindalter. Fakt sei jedoch, so betont die Leiterin der Lauterbacher Kindertagesstätte Erika Klug, dass ein nicht geringer Bedarf an dieser Betreuung bestehe, und daher erachte sie es als notwendig, dafür ein möglichst gutes Angebot zu schaffen. Es gelang ihr, sowohl den Träger der Einrichtung, die Evangelische Kirchengemeinde Lauterbach, als auch ihre Mitarbeiter für dieses Projekt zu gewinnen.
Damit reagiert die evangelische Kita in Lauterbach auf mehrere Signale. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung müssten die Kinderzahlen in der Kita eigentlich zurückgehen – wenn nicht zugleich der Betreuungsbedarf steigen würde. Der hat sich allerdings so verschoben, dass die "Nestgruppe" nun eine der Regelgruppen ersetzt. Da es sich hierbei nicht um nur regionale Veränderungen handelt, gab es im Jahr 2008 ein Investitionsprogramm der Bundesregierung für bauliche Veränderungen aufgrund einer Alterserweiterung von Kitas. Die Umbaukosten von rund 65.000 Euro konnten so geschultert werden. Aus Bundesmitteln wurden 46.000 Euro zugeschossen, die Stadt Lauterbach leistete ihren Beitrag mit 5.000 €, die restlichen 14.000 Euro brachte die Kirchengemeinde auf.
Die Überzeugungsarbeit und der Umbau waren jedoch längst nicht alles, was für die "Nestgruppe" erforderlich war. Ein Konzept musste erarbeitet werden und das Personal entsprechende Fortbildungen absolvieren. Dies alles erfolgte in der kurzen Zeit von nur einem halben Jahr.
Die Grundkonzeption der Evangelischen Kindertagesstätte Lauterbach sieht neben den üblichen pädagogischen Schwerpunkten auch die Integration von Kindern mit individuellen Bedrüfnissen (z.B. Behinderung), Kinder-Mitbestimmung und Religionspädagogik vor. Ist die Bindung an die evangelische Kirche auch ein Kriterium für die Mitarbeiter, so gilt das jedoch nicht für die Kinder bzw. deren Eltern. Vielmehr soll das Angebot offen für alle in der Gesellschaft sein. Das betont Pfarrerin Karin Klaffehn, die den Träger und somit auch den Arbeitgeber für das Personal repräsentiert. (Früher stand an dieser Stelle Pfr. Dr. Volker Jung, bis er zum Präsidenten der Landeskirche gewählt wurde.) Karin Klaffehn ist daher oft in der Kita zu finden, keinesfalls nur im Büro, sondern auch in den Regelgruppen und der Nestgruppe. Der Besucher erhält den Eindruck einer sehr harmonischen Zusammenarbeit in der Kita, die auch aufgrund der Räumlichkeiten (mit großem und abwechslungsreichem Aussengelände) einen Eindruck von fröhlicher Gelassenheit macht.
Die Eingewöhnungsphase, so Kita-Leiterin Erika Klug, sei für die Einjährigen oft sogar leichter als für Dreijährige, wenn es auch manchmal zu "Rückfällen" komme, die aber meist rasch überwunden würden. So erfolgreich das Projekt "Nestgruppe" in Lauterbach also bisher läuft, so werden doch manche Auswirkungen erst in Zukunft zu sehen sein. Werden die Kinder, die schon mit einem Jahr in die Kita gekommen sind, zumindest zu Anfang sogar ihren Alterskollegen überlegen sein, wenn sie in eine der Regelgruppen "aufsteigen", weil sie dann mit drei Jahren schon "alte Hasen" im Kindergarten sind, die sich bestens auskennen? Oder wird es ihnen schwer fallen, sich von manchen ihrer Nestgruppen-Freunden zu trennen?



Beim gemeinsamen Frühstück im Nestgruppen-Raum machen die kleinsten Kita-Kinder jedenfalls einen sehr zuversichtlichen Eindruck. Sie haben nicht nur ihre Milchtassen, sondern auch sonst alles fest im Griff.

 

(im Autrag der Evangelischen Sonntagszeitung)