Ein Mord in Köln vor 1899 Jahren

von Martin Krauss

Köln am Rhein zur Zeit des Jahreswechsels 97/98 n.Chr. Traianus, der römische Stadthalter und Adoptivsohn des Nerva, Kaiser zu Rom, wartet ungeduldig auf dessen Ableben, um das provinzielle, unterentwickelte, kalte und unfreundliche "Colonia Claudia Ara Agrippinensium", wie die Stadt im "Barbarenland" um diese Zeit offiziell heißt, die jedoch von jedem kurz und verächtlich "CCAA" genannt wird, verlassen und in das warme und zivilisierte Rom zurückkehren zu können. Doch geschieht beim großen Fest der Saturnalien ein Mord: der einflußreiche Glasfabrikant Repentinus wird erstochen aufgefunden. Mit der Aufklärung wird ein "Schreiberling", der zudem auf der zweituntersten Stufe der Hierarchie steht, der freigelassene Sklave Aelius Cessator beauftragt.

Dieser macht sich, was bleibt ihm übrig, eifrig an die Erfüllung dieser unangenehmen Pflicht und entdeckt, daß nahezu jeder, der in der CCAA mit dem Glasfabrikanten zu tun hatte, ein Motiv besaß, ihn zu ermorden. Aelius Cessator erzählt, wie er mit Repentinus’ Freunden, seiner "Familia" und seinen Konkurrenten spricht, mit deren Untergebenen bzw. Sklaven, und er berichtet dabei eine Menge über das damalige Leben in der römischen Provinz. Er lernt "Industrielle" (Glashersteller), Handwerker, Politiker, Huren, Witwen, Gastwirte, Soldaten, Fuhrleute und Seemänner kennen und natürlich auch ein reizendes Mädchen, mit dem er sich trotz Standesunterschiedes auf ein phantasievolles Liebesabenteuer einläßt (obgleich das schöne Geschöpf vielleicht gar nicht ganz so unschuldig ist, wie er es glauben möchte...). Durch seine Nachforschungen kommt er überall im römischen Köln herum. Endlich entdeckt der gelernte Bibliothekar, daß das Mordmotiv nicht nur etwas mit Macht und Reichtum, sondern auch mit der Geschichte zu tun hat. Historischer Rückblick innerhalb der Historie: Aelius Cessator gewährt dem Leser hier einen ebenso lehrreichen wie amüsanten Einblick in das literarische Leben vor rund 1900 Jahren.

Ob es dem unfreiwilligen Detektiv am Ende gelingt, den Mörder ausfindig zu machen, ob er belohnt oder bestraft wird und auf welche Weise der Fortgang der Geschichte in diese Erzählung einen Einfluß nimmt, sei an dieser Stelle nicht verraten - schließlich handelt es sich bei "Mord im Praetorium" nicht um ein Geschichtsbuch oder ein historisches Schauspiel, sondern um einen fiktiven "Kriminalroman aus dem römischen Köln" (so der Untertitel), und wie in jedem Krimi lebt auch hier der Lesegenuß von der Ungewißheit und der Spannung.

Der Autor Cay Rademacher zieht dabei alle Register: der einsame Detektiv als ironischer Icherzähler, aus dessen Perspektive der Leser versucht, alle Spuren mitzuverfolgen, die versteckten, scheinbar bedeutungslosen Indizien, die sich erst im Verlauf der Handlung entschlüsseln, das Aufzeigen scheinbarer Lösungen, die sich im nachhinein als grundfalsch erweisen. Dazu erhält Aelius Cessator als Detektiv die ungezwungene Lässigkeit und jenen Witz, der auch schon Philipp Marlowe geadelt hat.

Aelius steht als Bibliothekar und quasi "Intellektueller" geistig und in seiner Bildung weit über den meisten seiner Gegenspieler, in der gesellschaftlichen Hierarchie jedoch weit unter diesen. Durch diese geschickt gewählte Erzählperspektive offenbaren sich die entscheidenden Stärken des Romans: nicht nur, daß eine Kriminalstory sehr flott erzählt wird, nicht nur, daß die historischen Details, Essen, Trinken, Kleidung, Wohnen, Sprache und Lebensgewohnheiten, kenntnisreich beschrieben werden (was nicht nur für Kölner Lokalpatrioten, sondern für jeden Geschichtsinteressierten gewinnbringend ist), wichtiger ist, daß die Menschen, speziell die Hauptperson selbst, im Denken ihrer Zeit leben und sich ausdrücken. Cessator ist keinesfalls ein in die Vergangenheit zurückgebeamter, moderner Held, aufgeklärt und vorurteilsfrei, sondern er lebt und fühlt ganz selbstverständlich in seiner Zeit. Es kommt ihm nicht in den Sinn, sich über Sklavenhaltung an sich zu empören, obgleich er gewaltig auf die Händler schimpft, für ihn sind Germanen und Kelten schlicht "Barbaren", und seine nebenher geäußerten Sichtweisen über Religion, Frauen und das Staatswesen sind vollkommen von seinem möglichen Erfahrungshorizont geprägt. "Mord im Praetorium" führt so wahrscheinlich eindringlicher in die römische Zeit ein als manches Geschichtsbuch.

Der 200 Seiten starke Roman ist mit einer eleganten, schwungvollen Sprache, die äußerlich trocken, aber voll anspielungsreichem Witz ist, souverän erzählt. Zusätzlich ist das Werk mit einem kleinem Anmerkungsapparat für die römischen Fachbegriffe (den man allerdings nicht aufschlagen muß, um die Handlung nachvollziehen zu können), und mit einer ausfaltbaren Karte des römischen Köln versehen. Ein Buch das Spaß macht, und das über seinen historischen Kontext und seine Krimihandlung hinaus auch einiges über die "zeitlosen" menschlichen Eigenschaften zu sagen hat.

Cay Rademacher: Mord im Praetorium - Historischer Kriminalroman aus dem römischen Köln, edition sisyphos, Köln 1996, ISBN 3-928637-16-9, 200 Seiten, 25,- DM