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Würdiges Pogromgedenken zu einem besonderen geschichtlichen Datum
Kinder- und Jugendparlamente aktiv – hohe Beteiligung der Bevölkerung

Es war ein besonderes, geschichtliches Datum. Vor 100 Jahren war in Lauterbach die „Neue Synagoge“ an der Strasse „Hinter der Burg“ feierlich eingeweiht worden. Vor 70 Jahren, im Jahr 1938, war das Gebäude zunächst geschändet und geplündert und dann am abend des 10. Novembers bis auf die Grundmauern niedergebrannt worden. Die Feuerwehr war vor Ort, löschte aber nicht sondern sicherte nur die Nachbargebäude.
Seit vielen Jahren finden am 10.11. Gedenkveranstaltungen am „Platz der Synagoge“ statt, zunächst organisiert von den Naturfreunden Vogelsberg, dem Kulturverein Lauterbach und dem DGB (maßgeblich initiiert durch den kürzlich verstorbenen Tilo Pfeifer), später kamen dann die evangelische und die katholische Kirche und schließlich auch die Stadt Lauterbach als Veranstalter hinzu. Unter deren Federführung hatte sich eine Initiativgruppe aus Vertretern der beteiligten Organisationen gefunden, welche die Gedenkveranstaltung 2008 vorbereitete. Als Besonderheit hatten Vertreter der Kinder- und Jugendparlamente Vogelsbergkreis und Lauterbach ihre Beteiligung angekündigt.

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Das Schild, das an die Synagoge erinnert, von der außer eine Baulücke sonst nichts mehr zu sehen ist, war vor kurzem ein Stück verlegt worden. Vor diesem Schild versammelten sich für Lauterbach ungewöhnlich viele Menschen, um der Verbrechen vor 70 Jahren und deren Opfern zu gedenken. Die Veranstaltung wurde von Vladimir Pletner an der Geige gefühlvoll musikalisch umrahmt. Bürgermeister Vollmöller, von dem eine Ansprache angekündigt war, war zur nicht erschienen. Stattdessen sprach der Stadtverordnetenvorsteher Lothar Pietsch. Pietsch zitierte den Artikel von Ralf Dörschner aus dem evangelischen Gemeindebrief, in dem von den umfangreichen Feierlichkeiten zur Einweihung der Synagoge berichtet wird, und leitete daraus die hohe Bedeutung der jüdischen Religionsgemeinde und Bevölkerung für die Stadt Lauterbach ab. Er betonte auch die Wichtigkeit des kontinuierlichen Gedenkens.


Einen sehr gelungenen Beitrag lieferten Vertreter der Kinder- und Jugendparlamente Vogelsberg und Lauterbach, die vom Platz der Synagoge quer durch die Innenstadt eine symbolische Linie bis um Lichtspielhaus gezogen hatten, die zusätzlich mit Kerzen markiert wurde. Entlang dieser Linie waren an mehreren Stellen Infotafeln errichtet worden, besondere Berücksichtigung fanden dabei die Verlegeorte von Stolpersteinen, an denen zusätzlich Blumen, Steine und Kerzen niedergelegt wurden.

Die zahlreichen Teilnehmer des Gedenkens bewegten sich so von Tafel zu Tafel, wo die Texte verlesen wurden. Zusammen ergaben diese Texte eine Zeitleiste von rechtsradikalen bzw. rasistischen Ausschreitungen und Verbrechen, angefangen von den ersten Opfern des NS-Regimes in Lauterbach und Alsfeld bis hin zu Gewalttaten von Rechtsextremisten in unserer Zeit.

So wurden Beispiele wie Hakenkreuzschmierereien auf Gedenktafeln, volksverhetzende CDs, brutale Übergriffe gegen Menschen von dunklerer Hautfarbe bis hin zum Überfall auf ein Zeltlager am Neuenhainer See dokumentiert. Erklärtes Ziel dieser Darstellung, so die Vertreter der KJPs, war es, nicht die Judenverfolgung im Dritten Reich mit solchen modernen Formen des Rechtsradikalismus gleichzusetzen, aber darauf hinzuweisen, dass eine ähnliche Form menschenverachtenden Denkens hinter solchen auswüchsen steht und dass es immer wieder notwendig ist, dagegen aktiv zu werden.


Die große Gruppe von Teilnehmern an diesem Weg gelangte schließlich an das Lichstspielhaus, wo der Kulturverein bei freiem Eintritt den Kinofilm „Das schreckliche Mädchen“ von Michael Verhoeven zeigte. In diesem teils dokumentarischen, teils theaterhaft verfemdeten und teils satirischen Film wird gezeigt, wie eine junge Frau, die die Geschichte ihrer Heimatstadt im Dritten Reich erforschen möchte, von großen Teilen der Bevölkerung daran gehindert, beschimpft und zum Teil sogar terrorisiert wird. Nur mühsam und unter großen, persönlichen Opfern setzt sie sich gegen den braunen Filz durch. Erfahrungen, die, wenn auch nicht in dieser Intensität, auch viele Leute in unserer Region gemacht haben und machen werden, wenn sie sich dieses Themas annehmen, die aber auch speziell den vielen jungen Zuschauern Mut machen sollen, sich dieser Aufgabe zu stellen.

Text und Bilder: Martin Krauss