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Lauterbacher Anzeiger vom 21.9.2012

Weinende Mundharmonika, heiße Riffs und packende Geschichten
Chris Kramer spielte auf Einladung des Kulturvereins im Eisenbacher Gewölbekeller

Von Martin G. Günkel

Eisenbach. Blues, das Erzählen von Geschichten und viel Humor – das gehört zusammen. Mit eigenen Songs, rauem und herzlichem Gesang, einem unfassbar packenden Mundharmonika-Spiel und genialen Gitarrenriffs gibt Chris Kramer ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie man als Europäer seine eigene, voll und ganz überzeugende Art von Blues spielen kann.
Auf Einladung des Lauterbacher Kulturvereins schlug er im voll besetzten Gewölbekeller von Schloss Eisenbach Besucher aus mindestens drei Landkreisen in seinen Bann. Wer das miterlebte, konnte nachvollziehen, weshalb die Musiker der Band von Muddy Waters und Mick Taylor von den Rolling Stones mit Kramer im Studio waren.
Auch wenn Kramers Musik ein Gesamtkunstwerk ist, muss man irgendwo anfangen, um sie zu beschreiben. Was gleich zu Beginn für Gänsehautmomente sorgte, war das Mundharmonika-Spiel des Musikers. Er ließ das Instrument weinen und gelegentlich schreien, wobei er niemals auch nur eine Note zu viel spielte. Es waren klare, ausdrucksstarke Melodien mit allen denkbaren Varianten in der Tongebung. Seine Virtuosität war atemberaubend, und doch stellte er sie ganz in den Dienst von Melodie und Ausdruck.
Auch wenn der elektrische Chicago-Blues ihn hörbar inspiriert hat, verzichtete Kramer durchweg darauf, seine Mundharmonika über einen angezerrten Gitarrenverstärker zu spielen, sondern schickte ihren Klang stets über das Gesangsmikrophon in die Anlage. Dank seines kraftvollen Spiels erzielte er auch so eine enorme Rauheit, wenn er sie wollte. Kleine Kunststücke zwischendurch lockerten das Konzert noch mehr auf: So spielte er die Mundharmonika mit rhythmischen Stimm-Einwürfen, steckte sie ganz in den Mund oder spielte sie durch ein Nasenloch.
Die Songs, die Kramer an diesem Abend spielte, waren allesamt mit deutschen Texten. Immer sang er mit einem gewissen Ruhrpott-Einschlag. Der sorgte – zusammen mit seiner wunderbar rauen Stimme – für den nötigen Blues-Ton.
Wem das mit der deutschen Sprache nicht einleuchtend erscheint, der möge bedenken, dass auch der britische Blues nicht die Art von Englisch beinhaltet, mit der der Blues in die Welt kam. Blueser wie Robert Johnson oder Blind Lemon Jefferson schrieben ihre Songs in ihrer Muttersprache, und viele europäische Blueser tun das eben auch. Der Blues bietet Raum für die eigene Ausdrucksweise, Chris Kramer nutzt diesen Raum.
Auch wenn Kramer das Gitarrenspiel nicht für seine ganz große Stärke hält, ist es doch ein Schlüsselelement seiner Musik. Vier Gitarren und ein Gitarren-Banjo hatte er in Eisenbach mit, jedes Instrument mit einer anderen Stimmung. Das ermöglichte ihm verschiedenste Riffs, die erheblich zum Abwechslungsreichtum in seinem Programm beitrugen.
Die Dreadnought-Gitarre (also eine Westerngitarre) war in Standard-Stimmung (E-A-D-G-H-E). Eine Dobro (eine Resonatorgitarre) war in Open F (also im F-Dur-Akkord) gestimmt, eine andere Dobro in Low C (C-G-C-G-C-C). Ein Gitarren-Banjo hatte einen offenen D-Dur-Akkord, seine Zigarrenkisten-Gitarre war fünfsaitig mit Open G. Außer der Dreadnought spielte er alle Instrumente zum Teil mit Bottleneck (das ist ein Röhrchen auf einem Finger der Greifhand zum stufenlosen Verschieben von Tonhöhen).
Gitarrist Keith Richards von den Rolling Stones hat es Ende der sechziger Jahre für sich entdeckt, mit verschiedenen Stimmungen besondere Riffs zu kreieren. Kramers Musik ist die Inspiration durch Keith Richards anzumerken, und doch hat der Musiker aus diesem wie aus seinen anderen Einflüssen eine ganz eigene musikalische Sprache geschaffen. Das Riff des „Gangster Blues“ erinnerte ein klein wenig an den Stones-Song „Dancing With Mr D“ – aber eben nur ein klein wenig. Die Rhythmen reichten von Blues-Shuffle über Funk bis hin zu Pop.
Bei einigen wenigen Songs bedient sich Kramer bewusst der Strukturen legendärer anderer Songs, doch selbst dann macht er aus diesen Strukturen seine eigene Musik. So basiert „Ungefähr mit 13“ merklich auf John Lee Hookers „Boogie Chillen“. „Hinterm Bahnhof“ ist eine Parodie auf „Honkey Tonk Women“, bei der Kramer zum Bottleneck greift, statt die Akkord-Vorhalte von Keith Richards nachzuspielen.
Parodistisches gab es auch auf anderen Ebenen. So gibt es das Blues-Klischee in Form der Zeile: „Woke up this mornin' an' my baby was gone.“ („Ich wachte heute Morgen auf, und mein Baby war gegangen.“) Kramer dreht das in einem Song um und beschreibt es als entsetzlich, mit einem Mal nicht mehr allein im Bett zu sein. Insgesamt haben Kramers Songtexte eine riesige Themen-Bandbreite. Es geht um Dinge wie Geldgier, aber auch im Harmloseres wie die Bilder, die ein Ken-Follet-Hörbuch in ihm erzeugt hat.
Auch als Moderator ist Chris Kramer ein mitreißender Geschichtenerzähler. Allein schon, wie er am Anfang seine Schwierigkeiten mit dem Navigationsgerät auf dem Weg nach Schloss Eisenbach schilderte, war grandios. Ein weiteres Beispiel für einen Humor waren die Scherze über seine Zigarrenkisten-Gitarre, deren „Korpus“ sich tatsächlich öffnen und nach wie vor als Zigarrenkiste nutzen lässt. Zusätzlich zur Freude über ein solches Konzert muss erwähnt werden, dass der Kulturverein Lauterbach seit einigen Monaten endlich die Besucherresonanz hat, die sein herausragendes Programm verdient.

Fotos: Krauss