zurück zum Archiv Kulturverein

zurück zur Artikelseite Martin Krauss

 

Abschluss des Stolperstein-Tages mit „Nur eine Rose als Stütze“
Kulturverein veranstaltete musikalische Lesung im Sitzungssaal des Rathauses

"Ich glaube, das Wichtige ist, dass wir nicht nur die Erinnerung an das Erlittene weitergeben, sondern auch die Erinnerung an die empfangene Hilfe. Und dass wir die jungen Menschen ermutigen, nie wegzusehen, sondern immer hinzusehen, wenn Unrecht geschieht und die Welt zum Menschlicheren hin verändern, nicht durch Ideologien, sondern indem der Einzelne, wo Hilfe nötig ist, das Schicksal Einzelner zum Besseren wendet."
Dieser Satz klingt, als sei er auf die Stolperstein-Verlegung in Lauterbach und deren umfangreiches Begleitprogramm geschrieben. Tatsächlich stammt er aus der Feder von Hilde Domin und war Bestandteil der musikalischen Lesung aus ihrem Werk von Ursula Illert (Sprecherin), Anka Hirsch (Cello, Komposition) und Peter McAven (Gitarre). Der den Aktionstag mit veranstaltende Kulturverein hatte diese Lesung als „Abschluss eines schönen und erfolgreichen Tages“ angeboten, wie Norbert Ludwig bei seiner Begrüssung betonte. Zahlreiche, vor allem viele junge Menschen hatten an den Aktionen aktiv oder zuschauend teilgenommen. Auch die musikalische Lesung am Abend war gut besucht.

Die Lauterbacher Musikerin und Komponistin Anka Hirsch erinnerte bei ihrer Begrüßung daran, dass die Idee der Verlegung von Stolpersteinen von dem vor kurzem verstorbenen Tilo Pfeifer stammte. Pfeifer hatte als Vorstandsmitglied der Naturfreunde und des Kulturvereins die ersten Bemühungen dazu übernommen, die nun von der Initiativgruppe unter Beteiligung der Kirchen aufgegriffen wurden.
Der anfangs zitierte Satz von Domin kann für den Aktionstag gelten, er steht aber zuvorderst für die Denkweise von Hilde Domin. Die jüdische Dichterin wurde im Jahr 1909 als Hilde Löwenstein geboren. 1932 emigrierte sie mit ihrem Mann Erwin Walter Palm zunächst nach Rom und lebte weiter im Exil in der Dominikanischen Republik und in den USA. 1954 kehre sie nach Deutschland zurück und lebte in Frankfurt und zuletzt in Heidelberg, wo sie Anfang des letzten Jahres starb. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und veröffentlichte mehr als zehn Gedichtbände, mehrere Romane und autobiographische Schriften.

Die von vielen Literaturproduktionen des Hessischen Rundfunks bekannte Ursula Illert hauchte Domins Texten Wärme und Leben ein. Illert schafft es, Texte in einem solchen Duktus zu lesen, als seien ihr die Worte soeben eingefallen. Besonders gelang dies bei den traumhaft surrealen autobiographischen Passagen, welche die Wirklichkeit gleichsam um eine poetische Wahrheit bereichern. Domin schrieb davon, dass sie aus der Heimat vertrieben sich die Sprache zur neuen Heimat erwählt habe. Der Leser und Zuhörer spürt dies am lebendig pulsierenden Rhythmus ihrer Lyrik und Prosa, welcher sich abermals im Rhythmus der Musik spiegelte. Musik zu Lesungen hat oft einen Pausenfüller-Charakter, hier nicht. Die Zeit, die der Zuhörer benötigt, um die Worte wirken zu lassen, die bei aller Poesie doch auch die Kälte und Härte eines jüdischen Schicksals transportieren, wurde durch das einfühlsame Gitarrenspiel Peter McAvens und die markante Intonierung durch Hirschs Cello gewissermassen erst geschaffen, strukturiert und so ein klanglicher Weg geebnet.
Das Publikum im Sitzungssaal des Rathauses erlebte diese Lesung äußerst intensiv und spendete den Künstlern zum Ende dankbaren Applaus.

Text und Fotos: Martin Krauss